152.311
Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
Jahrgang 2012 Nr. 153 ausgegeben am 1. Juni 2012
Asylverordnung (AsylV)
vom 29. Mai 2012
Aufgrund von Art. 2 Abs. 1 Bst. g Ziff. 3, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 2, Art. 19 Abs. 6, Art. 25 Abs. 3, Art. 30 Abs. 3, Art. 31 Abs. 3, Art. 33 Abs. 2, Art. 43 Abs. 1, Art. 50 Abs. 2, Art. 54 Abs. 2, Art. 55 Abs. 4, Art. 56 Abs. 2 und 4, Art. 60 Abs. 2, Art. 61 Abs. 3, Art. 62 Abs. 3, Art. 63 Abs. 3, Art. 70 Abs. 2, Art. 81 Abs. 3, Art. 83 Abs. 3 sowie Art. 90 des Asylgesetzes (AsylG) vom 14. Dezember 2011, LGBl. 2012 Nr. 29, verordnet die Regierung:
I. Allgemeine Bestimmungen
Art. 1
Gegenstand
Diese Verordnung regelt das Nähere über:
a) das Asylverfahren;
b) die Asylgewährung und Beendigung des Asyls;
c) die Gewährung vorübergehenden Schutzes an Schutzbedürftige und deren Rechtsstellung;
d) die Fürsorgeleistungen;
e) die Lohnzession und Rückerstattung;
f) die Finanzierung;
g) den Datenschutz; und
h) den Rechtsschutz.
Art. 2
Geltungsbereich
Diese Verordnung gilt, soweit der für Liechtenstein anwendbare Dublin-Besitzstand keine abweichenden Bestimmungen vorsieht.
Art. 3
Bezeichnungen
Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind unter den in dieser Verordnung verwendeten Personenbezeichnungen Angehörige des weiblichen und männlichen Geschlechts zu verstehen.
Art. 4
Nahe Angehörige (Art. 2 Abs. 1 Bst. g Ziff. 3 AsylG)
1) Als weitere nahe Angehörige, gegenüber denen die in Liechtenstein aufgenommene Person eine Unterhaltsverpflichtung hat, gelten:
a) Personen, die mit ihr in faktischer Lebensgemeinschaft leben;
b) minderjährige Adoptivkinder;
c) minderjährige Kinder, bei denen ein Pflegschaftsverhältnis besteht; oder
d) minderjährige Geschwister.
2) Die Unterhaltsverpflichtung ist durch einen urkundlichen Nachweis zu bescheinigen.
II. Asylsuchende
A. Allgemeine Bestimmungen
Art. 5
Abgabe von Dokumenten (Art. 6 Abs. 1 Bst. a und b AsylG)
Asylsuchende sind verpflichtet, alle Dokumente abzugeben, insbesondere diejenigen, die Auskunft über ihre Identität, Herkunft und ihren Reiseweg geben oder Rückschlüsse darauf erlauben.
Art. 6
Dolmetscher (Art. 11 Abs. 2 AsylG)
1) Als qualifizierte Dolmetscher gelten Personen, die:
a) aufgrund des Gesetzes über die Zulassung von Dolmetschern und Übersetzern vor liechtensteinischen Gerichten und Verwaltungsbehörden als Dolmetscher oder Übersetzer zugelassen sind;
b) von einer anderen in- oder ausländischen Behörde als Dolmetscher oder Übersetzer anerkannt sind;
c) die deutsche Sprache sowie die betreffende Fremdsprache in Wort und Schrift beherrschen; oder
d) die betreffende Fremdsprache als Muttersprache sprechen, sofern kein Dolmetscher oder Übersetzer nach den Bst. a und b verfügbar ist.
2) Als Nachweis nach Abs. 1 Bst. c wird anerkannt:
a) die Ausbildung an einer anerkannten Dolmetscher- oder Übersetzungsschule;
b) ein Hochschulstudium in einem entsprechenden Sprachgebiet und der entsprechenden Sprache; oder
c) ein Hochschulstudium in der betreffenden Fremdsprache.
3) Das Ausländer- und Passamt schliesst mit den Dolmetschern und Übersetzern eine Vereinbarung ab. Die Vereinbarung hat insbesondere zu enthalten:
a) die Fremdsprache;
b) die Höhe der Vergütung für die Dolmetscher- oder Übersetzerdienste;
c) die Höhe der Vergütung des Anfahrtsweges;
d) die Höhe der Vergütung von weiteren Spesen; und
e) einen Hinweis auf die Verschwiegenheitspflicht nach Art. 11 Abs. 3 des Gesetzes.
4) Dolmetscher und Übersetzer dürfen weder Rechtsberater, Hilfswerkvertreter noch Rechtsvertreter des Asylsuchenden sein. Ihre Aufgabe im Asylverfahren beschränkt sich auf das Übersetzen in Wort und Schrift.
Art. 7
Asylgesuche von Ehepaaren, eingetragenen Partnern oder Familien (Art. 12 Abs. 2 AsylG)
Bei Asylgesuchen von Ehepaaren, eingetragenen Partnern oder Familien hat jeder urteilsfähige Asylsuchende Anspruch auf Prüfung seiner eigenen Asylvorbringen.
Art. 8
Verfahren bei geschlechtsspezifischer Verfolgung (Art. 12 Abs. 2 AsylG)
Liegen konkrete Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung vor oder deutet die Situation im Herkunftsland auf geschlechtsspezifische Verfolgung hin, so wird der Asylsuchende von Personen gleichen Geschlechts angehört, wenn keine besonderen Gründe dagegen sprechen.
Art. 9
Verfahren bei Minderjährigen (Art. 12 AsylG)
1) Im Rahmen der Feststellung des Sachverhalts kann mit Unterstützung wissenschaftlicher Methoden abgeklärt werden, ob die Altersangabe des Asylsuchenden dem tatsächlichen Alter entspricht.
2) Das Ausländer- und Passamt informiert das Amt für Soziale Dienste unverzüglich über unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Das Amt für Soziale Dienste bestimmt für die Dauer des Asyl- und Wegweisungsverfahrens, längstens aber bis zur Bestellung eines Sachwalters oder bis zum Eintritt der Volljährigkeit, eine Vertrauensperson.
3) Die Vertrauensperson begleitet und unterstützt den unbegleiteten Minderjährigen während des Asylverfahrens. Ihre Begleitung und Unterstützung umfassen keine rechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Asylverfahren.
4) Das Amt für Soziale Dienste teilt dem Ausländer- und Passamt sowie dem Minderjährigen die Bestimmung der Vertrauensperson und die Bestellung eines Sachwalters unverzüglich mit. Das Ausländer- und Passamt leitet diese Information an die Flüchtlingshilfe Liechtenstein weiter.
5) Personen, die minderjährige Asylsuchende anhören, tragen den besonderen Aspekten der Minderjährigkeit Rechnung. Das Ausländer- und Passamt kann hierzu einen Psychologen des Amtes für Soziale Dienste zur Anhörung beiziehen.
Art. 10
Verfahren bei Folteropfern (Art. 12 Abs. 2 AsylG)
Liegen konkrete Hinweise vor, dass es sich beim Asylsuchenden um ein Folteropfer handelt oder deutet die Situation im Herkunftsland auf Folterungen hin, so wird diesem Umstand bei der Anhörung Rechnung getragen. Das Ausländer- und Passamt kann hierzu einen Psychologen des Amtes für Soziale Dienste beiziehen.
B. Das erstinstanzliche Verfahren
Art. 11
Anerkennung von Hilfswerken (Art. 19 Abs. 1 AsylG)
1) Die Regierung anerkennt liechtensteinische Hilfswerke, wenn sie Gewähr bieten, dass sie die Aufgaben nach Art. 19 des Gesetzes langfristig wahrnehmen können.
2) Die liechtensteinischen Hilfswerke, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung in der Flüchtlingshilfe Liechtenstein zusammengeschlossen sind, gelten als anerkannt.
3) Die Flüchtlingshilfe Liechtenstein übermittelt dem Ausländer- und Passamt mindestens einmal jährlich eine Liste der Hilfswerkvertreter.
Art. 12
Mitteilung der Anhörungstermine (Art. 19 Abs. 2 AsylG)
1) Anhörungstermine werden der Flüchtlingshilfe Liechtenstein oder einer von dieser bezeichneten Stelle in der Regel mindestens fünf Arbeitstage im Voraus mitgeteilt.
2) Leistet die Hilfswerkvertretung der Einladung keine Folge oder erscheint sie nicht rechtzeitig zur Anhörung, so kann die Anhörung ohne deren Anwesenheit begonnen und durchgeführt werden. Die Anhörung entfaltet volle Rechtswirkung.
Art. 13
Mitwirkung der Hilfswerkvertretung bei der Anhörung (Art. 19 Abs. 3 AsylG)
1) Die Hilfswerkvertretung hat die Möglichkeit, vor der Anhörung vom Inhalt der bereits erstellten Befragungs- und Anhörungsprotokolle Kenntnis zu nehmen.
2) Die Hilfswerkvertretung kann sich über ihre Beobachtungen während der Anhörung handschriftlich Notizen zum Ablauf des Verfahrens, nicht aber zu dessen Inhalt, machen. Diese dürfen dem Asylsuchenden erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens ausgehändigt werden. Aushändigungen an einen allfälligen Rechtsvertreter oder an Dritte dürfen erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens und nur mit dem Einverständnis des Asylsuchenden erfolgen.
3) Das Ausländer- und Passamt protokolliert allfällige Bemerkungen der Hilfswerkvertretung und nimmt eine Kopie der Notizen zu den Akten.
Art. 14
Zuständigkeitsprüfung nach Dublin (Art. 20 Abs. 1 Bst. b AsylG)
1) Das Ausländer- und Passamt prüft die Zuständigkeit zur Behandlung eines Asylgesuchs nach den Kriterien, die in der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 geregelt sind.
2) Ergibt die Prüfung, dass ein anderer Staat für die Behandlung des Asylgesuches zuständig ist, und hat dieser Staat der Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylsuchenden zugestimmt, so weist das Ausländer- und Passamt das Asylgesuch als unzulässig zurück.
3) Das Verfahren für die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylsuchenden durch den zuständigen Staat richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003.
Art. 15
Vorbereitung von Entscheidungen durch das Ausländer- und Passamt (Art. 21 AsylG)
1) Das Ausländer- und Passamt kann eine Asylentscheidung für die Regierung vorbereiten.
2) Wird gegen eine Entscheidung, die das Ausländer- und Passamt verfügt oder vorbereitet hat, Beschwerde erhoben, kann die Regierung beim Ausländer- und Passamt eine Stellungnahme einholen.
Art. 16
Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (Art. 21 AsylG)
1) Zur Abklärung von Asylgesuchen kann das Ausländer- und Passamt die Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) einholen.
2) Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) kann zu diesem Zweck Einsicht in die Akten nehmen und an den Anhörungen teilnehmen, sofern der Asylsuchende zustimmt.
C. Stellung während des Asylverfahrens
Art. 17
Ausweis (Art. 22 AsylG)
1) Können sich Asylsuchende voraussichtlich bis zum Abschluss des Verfahrens in Liechtenstein aufhalten, so stellt das Ausländer- und Passamt einen auf höchstens sechs Monate befristeten und verlängerbaren Ausweis N aus. Dieser bescheinigt ausschliesslich die Einreichung des Asylgesuchs und gilt gegenüber allen liechtensteinischen Behörden als Ausweispapier. Er berechtigt nicht zum Grenzübertritt.
2) Aus der Gültigkeitsdauer des Ausweises N kann kein Anwesenheitsrecht abgeleitet werden.
3) Der Ausweis N wird eingezogen, wenn die ausländische Person Liechtenstein verlassen muss oder verlässt oder wenn ihr Anwesenheitsverhältnis fremdenpolizeilich geregelt ist.
D. Wegweisung
Art. 18
Wegweisung (Art. 25 Abs. 1 AsylG)
Die Wegweisung aus Liechtenstein wird nicht verfügt, wenn der Asylsuchende:
a) im Besitz einer gültigen Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung ist; oder
b) von einer Auslieferungsverfügung betroffen ist.
Art. 19
Vollzug (Art. 25 Abs. 2 AsylG)
1) Besondere Gründe liegen insbesondere vor, wenn:
a) das Arbeitsverhältnis länger als ein Jahr gedauert hat und es dem Arbeitgeber unzumutbar ist, vor Ablauf der Kündigungsfrist einen neuen Arbeitnehmer zu finden;
b) die Ausbildung mindestens ein Jahr gedauert hat und voraussichtlich innerhalb eines Jahres abgeschlossen wird; oder
c) die Beendigung eines Pflichtschuljahres dem Kindeswohl dient.
2) Lassen mehrere Mitglieder einer Familie, die von der gleichen Wegweisungsverfügung betroffen sind, die Ausreisefrist unbenutzt verstreichen, so kann die Wegweisung gestaffelt vollzogen werden.
3) Die Landespolizei meldet dem Ausländer- und Passamt den Vollzug der Wegweisung oder die kontrollierte Ausreise innerhalb von drei Arbeitstagen.
Art. 20
Meldepflicht bei Feststellen des Untertauchens (Art. 28 Abs. 1 AsylG)
Die Flüchtlingshilfe Liechtenstein meldet dem Ausländer- und Passamt unverzüglich das Feststellen des Untertauchens.
Art. 21
Ausschreibung im Polizeifahndungssystem (Art. 28 Abs. 1 AsylG)
Das Ausländer- und Passamt richtet seine Gesuche um polizeiliche Ausschreibung direkt an die Landespolizei.
E. Rechtsstellung der vorläufig Aufgenommenen
Art. 22
Ausweis (Art. 29 Abs. 5 AsylG)
1) Das Ausländer- und Passamt stellt vorläufig Aufgenommenen einen auf höchstens zwölf Monate befristeten Aufenthaltsausweis F aus. Er berechtigt nicht zum Grenzübertritt.
2) Aus der Gültigkeitsdauer des Ausweises F kann kein Anwesenheitsrecht abgeleitet werden.
3) Der Ausweis F wird eingezogen, wenn die ausländische Person Liechtenstein verlassen muss oder verlässt oder wenn ihr Anwesenheitsverhältnis fremdenpolizeilich geregelt wird.
Art. 23
Familiennachzug (Art. 30 AsylG)
1) Familienangehörige von vorläufig Aufgenommenen können frühestens drei Jahre nach Anordnung der vorläufigen Aufnahme nachgezogen werden. Nach Ablauf dieser Frist muss das Gesuch um Familiennachzug spätestens innerhalb von drei Jahren ab Entstehung der ehelichen Gemeinschaft oder der eingetragenen Partnerschaft gestellt werden.
2) Die vorläufige Aufnahme von Familienangehörigen kann gewährt werden, wenn:
a) die Fristen nach Abs. 1 eingehalten sind;
b) beide Ehegatten oder eingetragene Partner nach liechtensteinischem Recht volljährig sind;
c) der vorläufig Aufgenommene über eine bedarfsgerechte Wohnung verfügt; und
d) der vorläufig Aufgenommene sich in einem gefestigten und für ihn und die Familienangehörigen Existenz sichernden Arbeitsverhältnis befindet oder über genügend finanzielle Mittel für den persönlichen Lebensunterhalt und denjenigen der Familienangehörigen verfügt, sodass keine Fürsorgeleistungen in Anspruch genommen werden müssen.
3) Für die Prüfung, ob eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden ist, ein Existenz sicherndes Arbeitsverhältnis besteht oder genügend finanzielle Mittel vorliegen, gelten die Bestimmungen der Verordnung über die Zulassung und den Aufenthalt von Ausländern sinngemäss.
F. Härtefall
Art. 24
Fortgeschrittene Integration (Art. 31 Abs. 1 Bst. c AsylG)
1) Eine fortgeschrittene Integration ist insbesondere dann gegeben, wenn die betroffene Person:
a) über Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift verfügt;
b) über eine Wohnung (Miete oder Eigentum) verfügt; und
c) zum Zeitpunkt der Gesuchstellung sich seit mindestens einem Jahr in einem Existenz sichernden Arbeitsverhältnis befindet oder über genügend finanzielle Mittel für den persönlichen Lebensunterhalt verfügt, sodass keine Fürsorgeleistungen oder Sozialhilfe in Anspruch genommen werden müssen.
2) Über Kenntnisse der deutschen Sprache nach Abs. 1 Bst. a verfügt, wer:
a) über ein anerkanntes Sprachdiplom mit Niveau A1 verfügt;
b) das Unterrichtsfach "Deutsch" auf dem Niveau der 9. Schulstufe positiv abgeschlossen hat;
c) einen positiven Abschluss im Unterrichtsfach "Deutsch" an einer ausländischen Schule, in der die deutsche Sprache als Unterrichtssprache zumindest auf dem Niveau der 9. Schulstufe einer liechtensteinischen Pflichtschule gelehrt wird, nachweisen kann; oder
d) über den Abschluss einer beruflichen Grundbildung nach dem Berufsbildungsgesetz verfügt.
3) War aufgrund des Alters oder des Gesundheitszustandes die Erwerbstätigkeit nicht möglich, ist dies bei der Prüfung der finanziellen Mittel zu berücksichtigen.
4) Für die Prüfung, ob eine entsprechende Wohnung vorhanden ist, ein Existenz sicherndes Arbeitsverhältnis besteht oder genügend finanzielle Mittel vorliegen, gelten die Bestimmungen der Verordnung über die Zulassung und den Aufenthalt von Ausländern sinngemäss.
5) Die Flüchtlingshilfe Liechtenstein informiert die Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen in Zusammenarbeit mit dem Ausländer- und Passamt über die Integrationsmöglichkeiten.
III. Asylgewährung und Beendigung des Asyls
A. Asylgewährung
Art. 25
Sichere Heimat- und Herkunftsstaaten (Art. 33 Abs. 2 AsylG)
Als sichere Heimat- und Herkunftsstaaten gelten:
a) die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU);
b) die Vertragsstaaten der Europäischen Freihandelszone (EFTA);
c) Albanien;
d) Bosnien-Herzegowina;
e) Mazedonien;
f) Montenegro; und
g) Serbien.
B. Beendigung des Asyls
Art. 26
Beendigung des Asyls (Art. 40 und 41 AsylG)
Das Erlöschen des Asyls geht dem Widerruf vor.
IV. Gewährung vorübergehenden Schutzes an Schutzbedürftige
A. Verfahren
Art. 27
Kriterien für die vorübergehende Schutzgewährung (Art. 43 Abs. 1 AsylG)
Kriterien für die vorübergehende Schutzgewährung sind insbesondere:
a) Lage im Heimat- oder Herkunftsstaat;
b) Nachweis der Identität der betroffenen Person;
c) Sprachkenntnisse der betroffenen Person;
d) Ausbildung der betroffenen Person; und
e) mögliche Integration in Liechtenstein.
B. Rechtsstellung der Schutzbedürftigen
Art. 28
Ausweis (Art. 49 AsylG)
1) Schutzbedürftige erhalten während der ersten fünf Jahre der Gewährung vorübergehenden Schutzes einen auf höchstens ein Jahr befristeten und verlängerbaren Ausweis S. Dieser gilt gegenüber allen liechtensteinischen Behörden als Ausweispapier. Er berechtigt nicht zum Grenzübertritt.
2) Aus der Gültigkeitsdauer des Ausweises S kann kein Anwesenheitsrecht abgeleitet werden.
3) Der Ausweis S wird eingezogen, wenn die ausländische Person Liechtenstein verlassen muss oder verlässt oder wenn ihr Anwesenheitsverhältnis fremdenpolizeilich geregelt wird.
C. Beendigung der vorübergehenden Schutzgewährung
Art. 29
Gewährung des rechtlichen Gehörs bei Aufhebung des vorübergehenden Schutzes (Art. 51 Abs. 3 AsylG)
Die Gewährung des rechtlichen Gehörs erfolgt in der Regel schriftlich.
V. Fürsorgeleistungen und Lohnzession
Art. 30
Fürsorgeleistungen (Art. 54 Abs. 2 AsylG)
1) Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige erhalten pro Tag und pro Person Lebensmittelgutscheine in Höhe von 10 Franken. Familien mit mehreren Kindern erhalten für das erste Kind Lebensmittelgutscheine in Höhe von 10 Franken, für das zweite Kind in Höhe von 7 Franken und für jedes weitere Kind in Höhe von 4 Franken.
2) Zusätzlich zum Betrag nach Abs. 1 kann Asylsuchenden, die nicht innerhalb von sechs Wochen seit Einreichung des Gesuchs eine erstinstanzliche Entscheidung erhalten haben, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen als Taschengeld ein Betrag in Höhe von 4 Franken in bar ausbezahlt werden.
3) Eine Auszahlung der Leistungen nach Abs. 2 kann durch die Flüchtlingshilfe Liechtenstein oder auf Anweisung des Ausländer- und Passamtes insbesondere verweigert werden, wenn die betroffene Person:
a) eine Wegweisungsverfügung erhalten hat;
b) sich weigert, dem Ausländer- und Passamt oder der Flüchtlingshilfe Liechtenstein über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse Auskunft zu erteilen oder sie zu ermächtigen, Auskünfte einzuholen;
c) sie durch unwahre oder unvollständige Angaben erwirkt oder zu erwirken versucht;
d) wesentliche Änderungen ihrer Vermögensverhältnisse nicht meldet;
e) es offensichtlich unterlässt, ihre Lage zu verbessern, namentlich, wenn sie eine ihr zugewiesene zumutbare Arbeit oder Unterkunft nicht annimmt;
f) ohne vorgängige Absprache mit dem Ausländer- und Passamt oder der Flüchtlingshilfe Liechtenstein ein Arbeits- oder Mietverhältnis auflöst oder dessen Auflösung schuldhaft verursacht und damit ihre Lage verschlechtert;
g) die Leistungen nach Abs. 1 oder 2 missbräuchlich verwendet;
h) sich trotz der Androhung des Entzugs von Leistungen nach Abs. 1 oder 2 nicht an die Anordnungen des Ausländer- und Passamtes oder der Flüchtlingshilfe Liechtenstein hält.
4) Die Höhe der in Abs. 1 und 2 genannten Beträge wird einmal jährlich überprüft und eine landesindexbezogene Anpassung vorgenommen.
Art. 31
Kostenübernahme für zahnärztliche Behandlungen (Art. 55 Abs 3 Bst. b AsylG)
1) Zahnärztliche Behandlungen, die von der obligatorischen Krankenversicherung oder allfälliger weiterer Versicherungen nicht gedeckt sind, werden übernommen, wenn:
a) sie der Schmerzbehandlung dienen oder aus gesundheitlichen Gründen zwingend notwendig sind; und
b) ein Kostenvoranschlag von einem in Liechtenstein praktizierenden Zahnarzt über die Höhe der zu erwartenden Behandlungskosten vorgelegt und von der Flüchtlingshilfe Liechtenstein genehmigt wurde, sofern es sich nicht um einen Notfall handelt. Die Flüchtlingshilfe Liechtenstein kann den Kostenvoranschlag einer weiteren Fachperson zur Beurteilung vorlegen.
2) Die Schmerzbehandlung ist mit einfachsten Mitteln durchzuführen, insbesondere durch:
a) Extraktion;
b) Zementfüllung; oder
c) allenfalls Einleitung einer Wurzelbehandlung.
3) Bei jeder zahnärztlichen Behandlung sind das Ausmass und der Standard der bisherigen zahnmedizinischen Versorgung sowie der Stand der bisherigen und zu erwartenden Karies- und Parodontalprophylaxe zu beachten.
Art. 32
Auszahlung des einbehaltenen Geldes (Art. 56 Abs. 2 AsylG)
1) Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, erhalten vom einbehaltenen Geld:
a) die in Art. 30 Abs. 1 und 2 genannten Leistungen;
b) zusätzlich 3 Franken pro geleistete Arbeitsstunde als Motivationsprämie.
2) Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und Schutzbedürftige, die an einem Arbeitsprogramm teilnehmen, erhalten vom einbehaltenen Geld neben den in Abs. 1 Bst. a genannten Leistungen folgende Beträge ausbezahlt:
a) 10 Franken für jeden geleisteten Arbeitstag als Motivationsprämie, sofern das Arbeitsprogramm vollendet wurde und keine unbegründeten Absenzen bestehen;
b) bei Abschluss und für jeden vollendeten Monat des Arbeitsprogramms zusätzlich 5 Franken pro Tag als Durchhalteprämie.
3) Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen, die sich in einem Existenz sichernden Arbeitsverhältnis befinden, wird der in Art. 30 Abs. 1 genannte Betrag in bar ausbezahlt.
4) Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen, die sich in einem Existenz sichernden Arbeitsverhältnis befinden und über eine eigene Wohnung (Miete oder Eigentum) verfügen, werden bis zu zwei Dritteln des monatlich einbehaltenen Geldes abzüglich der Mietkosten ausbezahlt.
5) Art. 30 Abs. 3 gilt sinngemäss.
VI. Finanzierung
Art. 33
Benützungsgebühr und Miete (Art. 57 und 60 Abs. 1 Bst. a bis c AsylG)
1) Der Staat kann die nach Art. 60 Abs. 1 Bst. a bis c des Gesetzes anfallenden Kosten im Sinne einer Benützungsgebühr bei Beendigung der Lohnzession mit dem Lohnguthaben verrechnen.
2) Die Benützungsgebühr nach Abs. 1 kann zudem nach Beendigung der Lohnzession eingezogen werden, wenn die Kosten nach Art. 60 Abs. 1 Bst. a bis c des Gesetzes weiterhin vom Staat getragen werden.
3) Bleibt eine Person nach Beendigung der Lohnzession weiterhin in einer vom Staat gemieteten Wohnung, so hat sie die monatlichen Mietkosten zu übernehmen und sich um eine eigene Wohnung (Miete oder Eigentum) zu bemühen.
Art. 34
Kosten für weitere Beiträge, Rückkehrhilfe und Wiedereingliederung (Art. 61 und 63 AsylG)
1) Die Regierung legt jährlich einen Betrag für die nach Art. 61 und 63 des Gesetzes anfallenden Kosten fest.
2) Die Regierung kann die in Abs. 1 genannten Beträge ausrichten, wenn ein entsprechendes Konzept vorgelegt wird.
3) Das Konzept nach Abs. 2 muss begründet und die anfallenden Kosten müssen beziffert sein.
4) Die Ausrichtung der Beiträge erfolgt vorbehaltlich Abs. 5 nach der Genehmigung durch die Regierung.
5) Die Beiträge nach Art. 63 Abs. 1 Bst. c des Gesetzes werden vom Ausländer- und Passamt genehmigt und ausgerichtet.
6) Bei Beiträgen, die zur Wiedereingliederung in den Heimat-, Herkunfts- oder Drittstaat gewährt werden, erfolgt die Ausrichtung der Beiträge in der Regel nach Rückkehr in den betreffenden Staat. Dabei kann die Auszahlung gestaffelt erfolgen.
Art. 35
Kosten für Ein- und Ausreise (Art. 62 AsylG)
1) Bei bedürftigen Personen werden die für die Reise notwendigen Kosten, namentlich Fahrkarten und Flugtickets, übernommen.
2) Das Ausländer- und Passamt bucht für Personen, die ausreisepflichtig sind oder freiwillig ausreisen möchten, die entsprechenden Flüge.
3) Erfolgt die Ausreise rechtmässig auf dem Landweg, werden die Kosten für die Rückkehr bzw. Weiterreise ausbezahlt.
4) Personen, die während der angesetzten Frist oder freiwillig ausreisen, wird in der Regel ein Zehrgeld ausbezahlt.
5) Das Ausländer- und Passamt informiert die Flüchtlingshilfe Liechtenstein über die nach Abs. 3 und 4 auszubezahlenden Beträge.
6) Eine Auszahlung durch die Flüchtlingshilfe Liechtenstein darf erst erfolgen, wenn:
a) das Asylgesuch schriftlich zurückgezogen worden ist oder die betroffene Person eine Wegweisungsverfügung erhalten hat;
b) der aufgrund dieser Verordnung ausgestellte Ausweis beim Ausländer- und Passamt abgegeben wurde;
c) das Ausländer- und Passamt die Anweisung zur Auszahlung erteilt hat; und
d) die Abreise unmittelbar bevorsteht.
7) Die Beträge nach Abs. 3 und 4 können in bar ausbezahlt werden. Erfolgt eine Ausreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, werden die entsprechenden Fahrkarten durch die Flüchtlingshilfe Liechtenstein organisiert.
VII. Datenschutz
Art. 36
Biometrische Daten (Art. 70 AsylG)
1) Zur Feststellung der Identität von Asylsuchenden und Schutzbedürftigen kann das Ausländer- und Passamt oder die Landespolizei folgende biometrische Daten erheben:
a) Gesichtsbild;
b) Fingerabdrücke.
2) Zugriff auf biometrische Daten haben nur die beim Ausländer- und Passamt und bei der Landespolizei beschäftigten Personen, die mit dem Vollzug der Asylgesetzgebung betraut sind.
3) Das Ausländer- und Passamt legt in einem Bearbeitungsreglement insbesondere die Zugriffsberechtigung sowie die organisatorischen und technischen Massnahmen gegen unbefugtes Bearbeiten der Daten fest.
VIII. Rechtsschutz
Art. 37
Zuständigkeit (Art. 81 Abs. 3 AsylG)
Das für das Ressort Inneres zuständige Regierungsmitglied entscheidet über ein Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
Art. 38
Verfahrenshilfe bei komplexen Verfahren (Art. 83 Abs. 1 Bst. b AsylG)
1) Ein komplexes Verfahren liegt vor, wenn es sich um einen besonders komplizierten oder umfangreichen Fall mit nicht unbedeutenden Rechtsfragen handelt, in dem nicht ausschliesslich Sachverhaltsfragen zu beurteilen sind.
2) Von einem komplexen Verfahren ist insbesondere auszugehen, wenn parallel zum Asylverfahren ein weiteres Verfahren, namentlich ein Auslieferungs- oder Strafverfahren, anhängig ist.
IX. Übergangs- und Schlussbestimmungen
Art. 39
Übergangsbestimmungen
1) Auf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung hängige Verfahren findet das bisherige Recht Anwendung.
2) Vorläufig Aufgenommene, die vor Inkrafttreten dieser Verordnung Fürsorgeleistungen in bar ausbezahlt erhalten haben, erhalten diese auch weiterhin in bar.
Art. 40
Aufhebung bisherigen Rechts
Es werden aufgehoben:
a) Verordnung vom 7. Juli 1998 zum Gesetz über die Aufnahme von Asylsuchenden und Schutzbedürftigen (Flüchtlingsverordnung), LGBl. 1998 Nr. 125;
b) Verordnung vom 14. September 1999 über die Rückkehr von Kriegsvertriebenen aus dem Kosovo, LGBl. 1999 Nr. 184.
Art. 41
Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Juni 2012 in Kraft.

Fürstliche Regierung:

gez. Dr. Klaus Tschütscher

Fürstlicher Regierungschef